PLACEBOSTUDIE Vorurteile, die unter die Haut gehen

PLACEBOSTUDIE: orf.at, 29.06.2022

Vorurteile, die unter die Haut gehen

Beim Beruf „Arzt“ denken die meisten immer noch an weiße Männer. Selbst wer weiß, dass das ein Vorurteil ist, reagiert bei einer Behandlung durch „weiße-Männer-Ärzte“ körperlich stärker als bei Ärztinnen oder Ärzten anderer Hautfarbe. Das zeigt eine spektakuläre Placebostudie, bei der Patientinnen und Patienten eine „schmerzlindernde“ Salbe auf die Haut geschmiert wurde.


Über die subkutanen Vorurteile von vermeintlich vorurteilsfreien Personen berichtet ein Team um die Sozialpsychologin Lauren Howevon der Universität Zürich. Gerade weil diese Personen damit beschäftigt sind, gegen Vorurteile anzukämpfen, scheinen sie den Worten der nicht weißen Ärzte oder der Ärztinnen weniger Vertrauen zu schenken – dies ist aber die Grundlage des Placeboeffekts.


Ausgeklügelte Versuchsanordnung

Ein bisschen Placebo ist immer dabei, wenn Kranke und Menschen aus dem Gesundheitswesen zusammenkommen. Letztere versprechen Heilung, und an die wollen Patientinnen und Patienten glauben. Das erklärt etwa die Wirkung von Homöopathie und anderen nicht evidenzbasierten Heilungsmethoden – gehört aber auch zu jenen, die nachweislich wirken.

Der Glaube an die Heilung kann aber in Konflikt stehen mit anderen unbewussten Mechanismen, wie das Team um Howe in der aktuellen Ausgabe der Fachzeitschrift „PNAS“ berichtet. Für eine Studie haben sich die Forscher und Forscherinnen eine ausgeklügelte Versuchsanordnung ausgedacht.

Knapp 200 weiße Menschen, rund zwei Drittel von ihnen Frauen, nahmen in einem Labor in San Francisco an einem Allergietest teil. Durchgeführt wurde er von verschiedenen Personen: Männern und Frauen unterschiedlicher ethnischer Herkunft, europäischer, afroamerikanischer und asiatischer. Sie wurden den Probandinnen und Probanden als „Gesundheitspersonal“ vorgestellt, wussten selbst nicht, was das Ziel der Studie war und ritzten den Versuchspersonen Histamin unter die Haut. Die allergische Reaktion auf den Reizstoff – Hautrötungen und kleine Dippel – versorgten sie Minuten später mit einer schmerzlindernden Creme.

Körper reagieren anders

Dabei handelte es sich um ein Scheinmedikament, das – wie üblich bei Placebo – auch wirkte, allerdings sehr unterschiedlich. Die vermeintliche Antihistamin-Salbe linderte die allergische Reaktion deutlich besser, wenn sie von weißen oder asiatischen Männern geschmiert worden war und entsprechend schlechter, wenn dies Frauen oder Schwarze getan hatten.

Das Bemerkenswerte der Studie: Diese Unterschiede zeigten sich in der objektiven Messung der Haut. D.h., die Hautrötungen und Dippel gingen nach einer Behandlung durch einen schwarzen Mann oder eine Frau langsamer zurück als durch einen Mann europäischer oder asiatischer Herkunft. Vielleicht noch bemerkenswerter: Schon die allergische Reaktion fiel bei den weißen Versuchspersonen heftiger aus, wenn sie von einem Schwarzen ausgelöst worden war.

Keine expliziten oder impliziten Vorurteile

All das hat nichts mit bewussten Vorurteilen zu tun, denn diese wurden in einem zweiten Studienteil untersucht und ausgeschlossen. In der Eigeneinschätzung zeigten sich die Versuchspersonen sogar als positiv voreingenommen gegenüber Frauen und Schwarzen, d.h., sie schrieben ihnen mehr Kompetenz und Herzlichkeit zu als Männern und Weißen.

Weil es sich aber dabei um sozial erwünschte Einstellungen handeln könnte, analysierte das Team um die Sozialpsychologin Lauren Howe auch mögliche implizite Vorurteile. Dazu zeigten sie unbeteiligten Dritten tonlose Videoaufnahmen der Interaktion zwischen den Behandelnden und den Behandelten und ließen sie diese beurteilen. Ergebnis: Es waren keine impliziten Vorurteile im non-verbalen Verhalten zu erkennen. Im Gegenteil: Die Behandelten verhielten sich etwa gegenüber Frauen freundlicher als gegenüber Männern.

Körperparteilichkeit verringert Placeboeffekt

Warum reagierten ihre Körper aber dennoch schlechter? Darauf gibt ein weiterer Untersuchungsschritt Hinweise, bei dem unbeteiligten Dritten erneut Videos der Behandlungsszene vorgespielt wurden. Diesmal sollten sie aber den Aufwand der Patientinnen und Patienten, mit den Ärzten und Ärztinnen zu reden, beurteilen.

Und, siehe da, der mögliche Grund für den entdeckten Bias: Die weißen Versuchspersonen zeigten gegenüber Schwarzen und Frauen nämlich mehr Engagement als gegenüber Weißen und Männern. Es sah so aus, als würden sie die gesellschaftliche Norm, wie ein Arzt auszusehen hat – männlich und weiß –, unbewusst übertünchen zu wollen. Dadurch sei ein „ironischer Effekt“ entstanden, wie es in der Studie heißt: Der Placeboeffekt der „heilenden Worte“ durch schwarzes oder weibliches Gesundheitspersonal verringerte sich.

Verändert sich mit der Zeit

Bei asiatischen Ärzten war das nicht der Fall, und dies verweise erst recht auf die gesellschaftliche Grundierung des Phänomens. Im Großraum San Francisco gebe es ungefähr gleich viele Ärzte asiatischer Herkunft wie weißer Hautfarbe – sie sind somit dort bereits Bestandteil der Vorstellung eines „Arztes“. Das war aber nicht immer der Fall, insofern werden sich mit der historischen Entwicklung auch die im Körper eingeschriebenen Vorurteile wandeln, schreiben die Forscherinnen und Forscher. „Ob wir es wollen oder nicht, Gesellschaft und Geschichte sickern unter unsere Haut – und verändern die Art, wie unsere Körper reagieren und heilen."


Lukas Wieselberg, science.ORF.at

https://science.orf.at/stories/3213833/